Deutsches Kartellrecht

Deutsches Kartellrecht
1. Die Geschichte des D.K. wird durch eine Grundsatzentscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahr 1897 geprägt, wonach die Kartellbildung im Rahmen der Vertragsfreiheit allgemein als zulässig angesehen wurde, da sich das Recht auf Gewerbefreiheit nur gegen den Staat, nicht jedoch auch gegen private wirtschaftliche Machtbildung richte. Diese Entscheidung hatte zur Folge, dass das Deutsche Reich in den folgenden Jahrzehnten zum klassischen Land der Kartelle wurde. Abgesehen von einer Kartellenquête 1903–1905 kam es erst 1923 zur Verordnung gegen Missbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen. Die Nationalsozialisten erließen am 15.7.1933 das sog. Zwangskartellgesetz, um ein Instrument zur Lenkung der Wirtschaft nach ihren Vorstellungen zu gewinnen.
- Nach Teil III Art. 12 des Potsdamer Abkommens sollte die deutsche Wirtschaft in kürzester Zeit dezentralisiert werden, um die übermäßige  Konzentration der deutschen Wirtschaftskraft aufgrund von  Kartellen, Syndikaten, Trusts und anderen Monopolstellungen ( Monopole) zu vernichten. Im Jahre 1947 erließen daher die amerikanischen, englischen und französischen Militärregierungen Dekartellierungsgesetze bzw. -verordnungen, die zwei Hauptziele verfolgten: (1) Beseitigung der deutschen Wirtschaftsmacht und Rüstungskapazität (Entflechtung einzelner Wirtschaftssektoren als Ausdruck der politischen Zielsetzung); (2) Durchsetzung des Prinzips der Wettbewerbsfreiheit in Deutschland (wirtschaftspolitische Zielsetzung in starker Anlehnung an die amerikanische Antitrustpolitik;  Wettbewerbspolitik).
- 2. Entstehungsgeschichte und Ziele des GWB: Am 1.1.1958 ist das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in Kraft getreten und hat die alliierten Dekartellierungsbestimmungen von 1947 abgelöst. Das GWB ist zum einen durch die ordnungspolitischen Vorstellungen des Ordoliberalismus, zum anderen durch das US-amerikanische Vorbild beeinflusst worden. Das Gesetz geht davon aus, dass die „Wettbewerbswirtschaft die ökonomischste und zugleich demokratischste Form der Wirtschaftsordnung“ sei; insofern liegen dem GWB sowohl ökonomische als auch gesellschaftspolitische Zielfunktionen zugrunde.
- Novellierungen: Das GWB ist seit 1958 sechsmal novelliert worden, zuletzt am 1.1.1999, wobei eine großzügigere Haltung gegenüber Kartellabsprachen zur Förderung der Kooperation i.w.S. zu beobachten ist.
- 3. Die wichtigsten Vorschriften des GWB: a) Erfassung der Verhandlungsstrategie: Das GWB ist durch ein grundsätzliches Verbot horizontaler Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestimmter Verhaltensweisen charakterisiert, soweit diese geeignet sind, die Erzeugung oder Marktverhältnisse durch Beschränkung des Wettbewerbs zu beeinflussen (§ 1 GWB). Vertikale Verträge sind dagegen nur insoweit nichtig, als sie einen Vertragsbeteiligten in der Freiheit von Preisen oder Geschäftsbedingungen bei solchen Verträgen beschränken, die er mit Dritten schließt (§ 14 GWB). Die partielle Generalklausel des § 14 GWB erfasst also – anders als § 1 GWB – nur sog. Inhaltsbeschränkungen in Zweitverträgen.
- Einschränkungen: Das relativ strikte Verbotsprinzip in den §§ 1 und 14 GWB ist in den §§ 2–8 und 15 ff. GWB für bestimmte Tatbestände eingeschränkt; die wettbewerbspolitische Rechtfertigung dieses Ausnahmekatalogs ist umstritten. Die Ausnahmen betreffen z.B. Konditionen- und Spezialisierungskartelle (§§ 2 und 3 GWB), Mittelstands- und Rationalisierungskartelle (§§ 4 und 5 GWB) sowie die Preisbindung der zweiten Hand für Verlagserzeugnisse (§§ 15 f. GWB). Im Interesse der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen sowie des Ausgleichs gewisser Wettbewerbsnachteile sind im Laufe der Jahre eine Reihe von Ausnahmen in das GWB eingeführt worden, die als Kooperation i.w.S. bezeichnet werden können.
- b) Erfassung der Behinderungsstrategie: Der  Behinderungsmissbrauch marktbeherrschender Unternehmen wird durch die Generalklausel des § 19 GWB erfasst. Die Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen im Sinn dieser Vorschrift erfasst nicht nur den sog. Ausbeutungsmissbrauch gegenüber vor- und nachgelagerten Wirtschaftsstufen (vertikal, z.B. Benzinpreisverfahren), sondern auch den sog. Behinderungsmissbrauch gegenüber tatsächlichen oder potenziellen Konkurrenten (horizontal), was die Übersicht „Kartellrecht in Deutschland“ verdeutlicht.
(1) Marktbeherrschung im Sinn des § 19 II 1 GWB liegt dann vor, wenn ein Unternehmen ohne Wettbewerber ist (Monopolfall) oder keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist (Teilmonopol) bzw. eine im Verhältnis zu seinen Wettbewerbern überragende Marktstellung hat (marktstarkes Unternehmen). Unternehmensgruppen werden als marktbeherrschend im Sinn des § 19 II 2 GWB angesehen, soweit innerhalb der Gruppe kein wesentlicher Wettbewerb besteht (enges Oligopol) und die Oligopolgruppe gegenüber anderen Unternehmen eine überragende Marktstellung hat (enges Teiloligopol). (2) Um den unbestimmten Rechtsbegriff „Marktbeherrschung“ im Sinn des § 19 GWB justiziabel zu machen, sind im Rahmen der Zweiten GWB-Novelle im Jahre 1973 eine Reihe von Legalvermutungen eingeführt worden (§ 19 III GWB). Danach ist ein einzelnes Unternehmen marktbeherrschend, wenn es mindestens ein Drittel des relevanten Marktes kontrolliert (Vermutungstatbestand). Eine Unternehmensgruppe wird als marktbeherrschend angesehen, wenn drei oder weniger Unternehmen zusammen einen Marktanteil von zwei Dritteln oder mehr haben. (3) Im Rahmen der Fünften GWB-Novelle im Jahre 1989 ist der unbestimmte Rechtsbegriff der überragenden Marktstellung im Sinn des § 19 II Nr. 2 GWB durch zwei zusätzliche nachfragebezogene Strukturmerkmale (Umstellungsflexibilität eines Unternehmens und Alternativen der Marktgegenseite) konkretisiert worden. (4) Mangels einer Legaldefinition für den unbestimmten Rechtsbegriff Missbrauch ist die Erfassung des Behinderungsmißbrauchs weitgehend unwirksam geblieben.
- Ausnahme: Erfassung von Kopplungsgeschäften und Treuerabatten. (5) Die Generalklausel des § 19 GWB wird durch eine Reihe von Spezialvorschriften ergänzt, die andere typische Formen des Behinderungsmissbrauchs in Gestalt von  Boykott und Lieferverweigerung,  Diskriminierung sowie Ausschließlichkeits- und Kopplungsbindungen erfassen (§§ 19–21 GWB).
- c) Erfassung der Konzentrationsstrategie: Das GWB hatte ursprünglich Marktmacht nicht per se als schlecht betrachtet, sondern nur den Missbrauch dieser Marktmacht. Entsprechend dieser Philosophie enthielt das Gesetz bis zur Einführung der Fusionskontrolle im Jahre 1973 nur eine Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen im Sinn des § 19 GWB, d.h., die Behinderung von Mitbewerbern sowie die Ausbeutung vor- oder nachgelagerter Wirtschaftsstufen konnte durch Missbrauchsverfügung von den Kartellbehörden ex post untersagt werden.
- Die großen Schwierigkeiten bei der Anwendung dieser Vorschrift sowie eine veränderte Philosophie, wonach Marktmacht zumindest als wettbewerbsgefährdend angesehen wird, haben im Rahmen der zweiten GWB-Novelle im Jahre 1973 zu einer Zusammenschlusskontrolle von großen Unternehmen geführt. Die Untersagung eines Zusammenschlusses ist an folgende Voraussetzungen geknüpft: (1) Es muss sich um einen Zusammenschluss im Sinn des § 37 GWB handeln, der nicht unter die Toleranzklausel des § 35 II GWB fällt (sog. Aufgreifkriterien), und (2) der eine marktbeherrschende Stellung im Sinn des § 19 GWB schafft oder verstärkt; (3) es sei denn, die beteiligten Unternehmen weisen nach (Umkehr der Beweislast), „dass durch den Zusammenschluss auch Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen eintreten und dass diese Verbesserungen die Nachteile der Marktbeherrschung überwiegen“ (§ 36 I GWB – sog. Eingreifkriterien).
- Ministerfusion: Wenn das Bundeskartellamt einen Zusammenschluss untersagt hat, kann der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit (BMWA) dennoch den Zusammenschluss gemäß § 42 I GWB erlauben, wenn „die Wettbewerbsbeschränkung von gesamtwirtschaftlichen Vorteilen des Zusammenschlusses aufgewogen wird oder der Zusammenschluss durch ein überragendes Interesse der Allgemeinheit gerechtfertigt ist“ (vgl. zuletzt den Fall E.ON/Ruhrgas).
- Gemäß § 44 GWB ist eine Monopolkommission errichtet worden, die die Entwicklung der Unternehmenskonzentration in der Bundesrepublik Deutschland und die Anwendung der entsprechenden Vorschriften regelmäßig begutachten soll.
- d) Erfassung der Ausnahmebereiche: Die §§ 28–31 GWB stellen eine Reihe von Wirtschaftsbereichen aufgrund tatsächlicher oder nur vorgeschützter Besonderheiten teilweise oder gänzlich von der Anwendung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen frei: (1) § 28 GWB für die Landwirtschaft, (2) § 29 GWB für die Kredit- und Versicherungswirtschaft, (3) § 30 GWB für die Urheberrechts-Verwertungsgesellschaften (z.B. GEMA oder Wort) sowie (4) § 31 GWB für Sportverbände.
- 4. Zuständigkeiten bei der Anwendung des Kartellgesetzes: Abgesehen von der Zuständigkeit des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit für Kartelle im Sinn von § 8 GWB (sog. Ministerkartelle) und Fusionen im Sinn von § 42 GWB (sog. Ministerfusionen) sowie der Landeskartellbehörden für rein regionale Wettbewerbsbeschränkungen, ist für die Durchsetzung des Kartellgesetzes allein das Bundeskartellamt in Bonn zuständig (§ 51 I 1 GWB), das in erster Instanz entscheidet. Das Bundeskartellamt hat ca. 300 Mitarbeiter, davon ca. 120 Ökonomen und Juristen. Zuständig für die Überprüfung der Entscheidungen des Bundeskartellamtes ist im Beschwerdeverfahren das Düsseldorfer Oberlandesgericht und im Rechtsbeschwerdeverfahren der Bundesgerichtshof.
- 5. Verfahrensrecht im GWB: Zur Durchsetzung des Kartellgesetzes bestehen verschiedene verfahrensrechtliche Möglichkeiten: (1) Bußgeldverfahren gemäß § 81 GWB mit Geldbußen bis zu maximal 500.000 Euro, darüber hinaus bis zum Dreifachen des durch die Zuwiderhandlung erlangten Mehrerlöses; (2) Verwaltungsverfahren als reines Anmelde-, Anmelde- und Widerspruchs- oder Erlaubnisverfahren bei Kartellen sowie als Untersagungs- oder Missbrauchsverfahren z.B. bei Fusionen oder bei der Kontrolle von legalisierten rechtlichen oder faktischen Wettbewerbsbeschränkungen; (3) Private Schadensersatz- und Unterlassungsklagen gemäß § 33 GWB bei Verletzung einer Vorschrift oder rechtskräftigen Verfügung, die den Schutz eines anderen bezweckt; der rechtswidrig erlangte Mehrerlös kann gemäß § 34 GWB abgeschöpft werden. Die Zuständigkeit für diese Klageart liegt bei den Zivilgerichten (Landgericht, OLG und BGH). Die Siebte Kartellnovelle sieht – in Anpassung an die neue Konzeption des europäischen Wettbewerbsrechts (vgl.  Europäisches Kartellrecht) – folgende Eckpunkte vor: (1) Abschaffung der Pflicht zur vorherigen Anmeldung und des Genehmigungserfordernisses bei Vereinbarungen, die der Rationalisierung im Sinn von Art. 81 III EGV dienen; statt dessen Einführung des Prinzips der Legalausnahme wie im europäischen Recht. Die speziellen Freistellungstatbestände im geltenden Recht (§§ 2–6, 8 GWB) sollen ersatzlos aufgehoben werden; statt dessen soll eine dem Art. 81 III EGV entsprechende Generalklausel der alleinige Freistellungstatbestand werden. Das soll auch für rein nationale Fälle gelten, die nicht zwischenstaatlich relevant sind. (2) Horizontale und vertikale Wettbewerbsbeschränkungen sollen wie in Art. 81 I EGV grundsätzlich gleich behandelt werden, d.h., vertikale Wettbewerbsbeschränkungen sollen in die allgemeine Regelung des § 1 GWB einbezogen werden. Das Verbot von Preisbindungen, die Ausnahme für die Preisbindung bei Zeitungen und Zeitschriften sowie die Regelung über die unverbindliche Preisempfehlung sollen ausnahmsweise im deutschen Recht beibehalten werden. (3) Die Vorschriften über die Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende und marktstarke Unternehmen sollen ebenfalls beibehalten werden. (4) Im Interesse der Rechtssicherheit hinsichtlich der wettbewerbsrechtlichen Zulässigkeit von Kooperationen soll das Bundeskartellamt entsprechend Art. 5 Satz 3 der VO Nr. 1/2003 die Befugnis zu Entscheidungen erhalten, dass kein Anlass zu Tätigwerden besteht.
- Weitere Informationen unter www.bundeskartellamt.de.

Lexikon der Economics. 2013.

Игры ⚽ Поможем решить контрольную работу

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Kartellrecht — ist ein Teil des Wirtschaftsrechts. Im engeren Sinne besteht Kartellrecht aus den Regelungen bezüglich wirtschaftlicher Kartelle, die zwischen Unternehmen und sonstigen Marktakteuren getroffen werden. Im weiteren Sinne umfasst Kartellrecht… …   Deutsch Wikipedia

  • Systematische Struktur Deutsches Recht — Unter bundesdeutschem Recht wird das positive Recht der Bundesrepublik Deutschland verstanden. Es lässt sich in vier Bereiche unterteilen: Privatrecht: Dieses regelt die Beziehungen der Einzelnen zueinander auf der Grundlage von Gleichheit und… …   Deutsch Wikipedia

  • enges Oligopol — ⇡ Deutsches Kartellrecht …   Lexikon der Economics

  • Als-ob-Konzept — ⇡ Deutsches Kartellrecht …   Lexikon der Economics

  • Anmeldekartell — ⇡ Deutsches Kartellrecht …   Lexikon der Economics

  • Erlaubniskartelle — ⇡ Deutsches Kartellrecht …   Lexikon der Economics

  • Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung (GWB) — ⇡ Deutsches Kartellrecht …   Lexikon der Economics

  • Legalvermutung — ⇡ Deutsches Kartellrecht …   Lexikon der Economics

  • Marktverhaltenstest — ⇡ Deutsches Kartellrecht …   Lexikon der Economics

  • Ministererlaubnis bei Fusionen — ⇡ Deutsches Kartellrecht …   Lexikon der Economics

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”